zur Erinnerung

Abschied ist ein leises Wort

Modrow, Hans

Häber, Herbert

MfS Werner Großmann

Stolpe, Manfred

Hildebrandt, Regine

Lamberz, Werner

MfS Wolf, Markus


Das RĂ€tsel um sein wahres Leben bleibt Zum Tod Manfred Stolpes * 16. Mai 1936 in Stettin;
† 29. Dezember 2019 in Potsdam
( 83 Jahre )
Manfred Stolpe hatte viele Leben - vier öffentliche, zu denen er sich bekannte, und ein heimliches, das etliche Mitmenschen am meisten interessierte. Öffentlich waren seine Funktion als KonsistorialprĂ€sident und schließlich Vizevorsitzender des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR bis 1989 mitsamt dessen gesamtdeutschen AktivitĂ€ten; sein Amt als MinisterprĂ€sident des neu gebildeten Landes Brandenburg von 1990 bis 2002; seine Zeit als Bundesverkehrsminister bis 2005; und dann seine lange Zeit als an Krebs erkrankter PensionĂ€r, der tapfer gegen seine Krankheit kĂ€mpfte.

Geheim war sein Leben mit, in und rund um die DDR-Staatssicherheit, ein Leben, dem sich zuerst der "Spiegel" Anfang der 90er-Jahre in einem Artikel mit dem unscheinbaren Halbsatz nĂ€herte, es gebe da noch einen Decknamen IM "SekretĂ€r", ĂŒber den bald womöglich auch noch jemand "stolpern" werde.

2014 im Landtag in Potsdam: Da war Manfred Stolpe schon nicht mehr MinisterprÀsident von Brandenburg
Quelle: dpa/Ralf Hirschberger

Mit Manfred Stolpe hatte die SPD ihren einzigen Landesvater in der ehemaligen DDR und zugleich ihren Fall Globke. Der Fall Stolpe war inhaltlich gĂ€nzlich anders gelagert als bei Konrad Adenauers Kanzleramtschef Hans Globke, der in seinem frĂŒheren Leben als Jurist die Nazi-Rassegesetze teilweise mit entworfen, teilweise zustimmend kommentiert hatte.

Von Manfred Stolpe und seinen sagenhaften FĂ€higkeiten hörte ich zum ersten Mal als Bausoldat, also als einer, der den Dienst an der Waffe in der DDR verweigerte. Einem anderen Bausoldaten war damals - 1983 - wegen permanenter AufmĂŒpfigkeit mit dem MilitĂ€rstaatsanwalt gedroht worden. Geh zu Stolpe, wurde ihm geraten. Der habe da einen Draht.

Stolpe, 1936 geboren in Stettin, Jurist, trug in den Achtzigerjahren den Titel KonsistorialprĂ€sident. Sein Arbeitszimmer befand sich in einem Plattenbau in der Neuen GrĂŒnstraße in Berlin-Mitte, seine eigentliche Arbeitsbeschreibung war Jurist der evangelischen Kirche. Sein Image: WundertĂ€ter, Sesam-öffne-dich der DDR-Haftanstalten.

Manfred Stolpe: Kirchenjurist, MinisterprÀsident, Bundesminister
Foto: MARCO-URBAN.DE

Ohne Zweifel hat Stolpe Menschen geholfen und ermutigt. Wer den Mann in seinem BĂŒro im Konsistorium besuchte, spĂŒrte, da war jemand, der um seinen Ruf wusste, ein Dialektiker der feinsten Worte, durchaus auch eitel. Ein Mann mit Eigenschaften, ein Optimist, dessen GesprĂ€chspartner gelegentlich darĂŒber klagten, er habe etwas Unnahbares.

Er nahm Zettel entgegen, auf denen Namen standen, er notierte etwas in seinen Kalender, er brummelte, und man verließ erleichtert das Zimmer. Was er danach wohl tat? Mit Erich Honecker telefonieren? Oder mit Helmut Schmidt? Er raunte mitunter, er mĂŒsse ins "große Haus", mehr sagte er nicht.

Je mehr die Macht der SED wankte, desto geringer wurde die Verehrung Stolpes

Stolpe wurde zum Chefdiplomaten, dessen Auftrag und Grenzen nie genau definiert worden waren. Manches GeschĂ€ft fiel schon vor dem Ende der DDR nicht unter die Rubriken NĂ€chstenliebe oder Existenzsicherung der Kirche. Letztere wĂ€re gewiss auch ohne den Import von Volvos fĂŒr die Bischöfe ausgekommen.

Stolpes AufklĂ€rungsbedĂŒrfnis in eigener Sache schrumpfte

Die Frage nach seiner möglichen Verstrickung wurde zu einer symbolisch ĂŒberhöhten Auseinandersetzung. Stolpes ohnehin unterentwickeltes AufklĂ€rungsbedĂŒrfnis in eigener Sache schrumpfte weiter. Das empörte und stachelte seine Widersacher derart an, bis deren Urteilsvermögen zu einem Verurteilungswillen mutierte (wovon ich selbst nicht immer frei war).

Von vielen frĂŒheren DDR-BĂŒrgern wurde Stolpe zusammen mit Regine Hildebrandt als menschlicher Schutzschild gegen die Widrigkeiten des Westens gesehen. Kanzler Gerhard Schröder machte ihn zum Bundesminister, aber eher weniger wegen Stolpes Erfahrungen in Bau- und Verkehrsfragen, sondern mehr im Glauben an die Wirkung der Personalie auf die Ostdeutschen. Es war eine besondere Ironie der Geschichte, dass der SED-Kenner Stolpe nun deren Nachfolgepartei PDS im SPD-Auftrag eindĂ€mmen sollte.

Manfred Stolpe erkrankte an Krebs. Bis zuletzt schaltete er sich in politische Debatten ein, um die Zukunft der Stadt Potsdam oder um das VerhÀltnis Deutschlands zu Russland. Er war ein Mensch, der seinen WeggefÀhrten RÀtsel aufgab. Nun ist er im Alter von 83 Jahren gestorben. Einige Geheimnisse nimmt er mit ins Grab.

Trotz der RĂ€tsel um sein wahres Leben, trotz der scheinbaren Beweise fĂŒr Verrat und dessen Gegenteil - oder vielleicht gerade deswegen - gehört der 1936 in Stettin geborene Manfred Stolpe zu den Gesichtern, die in die lange, so ganz und gar unterschiedliche Ahnenreihe der Bundesrepublik gehören.


Quellen: Spiegel | Welt


© infos-sachsen / letzte Änderung: - 17.07.2023 - 09:04